Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff nimmt als
Nebenklagevertreter
gemeinsam mit Regina Götz die Rechte der Eltern Oury Jallohs wahr
Am Sonntag jährt sich der Todestag Oury
Jallohs zum zweiten
Mal. Der Flüchtling aus Sierrra Leone verbrannte am 7. Januar 2005
in
einer Dessauer Polizeizelle. Gibt es Hoffnung, daß die
Umstände seines
Todes noch aufgeklärt werden?
Ja, und zwar eine stärkere als zuvor. Nach beinahe zwei Jahren ist
endlich die Anklageschrift vom Landgericht Dessau zugelassen worden.
Das heißt, es wird zu einer Hauptverhandlung kommen. Angeklagt
ist der
Dienststellenleiter der Polizeiwache in Dessau. Wir erwarten also
durchaus eine weitergehende Aufklärung.
Was wird dem Polizeibeamten konkret vorgeworfen?
Juristisch
lautet der Vorwurf »Körperverletzung im Amt mit Todesfolge
durch
Unterlassen«. Das heißt, dem Beamten wird vorgeworfen, mit
extremer
Verspätung gehandelt zu haben. In dem Raum des
Dienstgruppenleiters
waren Brandmelder installiert, die durch die Brandentwicklung in der
Zelle, in der sich Oury Jalloh befunden hat, auch ausgelöst worden
sind. Es kam hier zu einer extrem verspäteten Reaktion des
Dienstgruppenleiters, und es hat lange gedauert, bis er sich bequemt
hat, in den Gewahrsamsbereich hinunterzugehen.
Nach dem Tod Jallohs wurde behauptet, er habe sich
selbst
angezündet. Diese Version kann mit der Anklage gegen den
Dienstgruppenleiter aufrechterhalten werden – oder ist sie
zurückgenommen worden?
Die Anklage geht von der Hypothese aus, daß Oury Jalloh im Besitz
eines
Feuerzeuges war und dadurch in der Lage gewesen sein soll, sich in der
Gewahrsamszelle selbst anzuzünden. Wichtig ist mir, daß es
sich um eine
Hypothese handelt, denn es sind auch ganz andere Abläufe denkbar.
Ich
halte diese Annahme für relativ unwahrscheinlich, weil daran eine
Kette
von Ungereimtheiten hängt. Zum einen ist Oury Jalloh sehr intensiv
durchsucht worden, und es ist zweifelhaft, daß dabei ein
Feuerzeug
übersehen wurde. Zweitens war er an allen vier Gliedmaßen
gefesselt. Es
stellt sich die Frage, wie er das Feuerzeug aus seiner Kleidung
hätte
herausholen und damit die Matratze aus feuerfestem Material, auf der er
lag, hätte anzünden können. Wir sind derzeit allerdings
auch nicht in
der Lage, eine Gegenhypothese aufzustellen. Deswegen
begrüßen wir, daß
es jetzt zu einer Hauptverhandlung kommt, um möglicherweise eine
weitergehende Aufklärung zu erreichen.
Ist bekannt, wann die Verhandlung eröffnet
wird?
Es
steht noch nicht hundertprozentig fest. Aber nach meinen Informationen
beabsichtigt das Landgericht Dessau, die Hauptverhandlung an vier
aufeinanderfolgenden Tagen, vom 27. bis zum 30. März 2007,
stattfinden
zu lassen.
Wie erklären Sie sich, daß das
Verfahren so lange verschleppt werden konnte?
Da
bewegt man sich im Bereich von Mutmaßungen. Augenfällig ist,
daß es von
der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft im Mai 2005 bis zu
einer Zulassung der Anklageschrift am 2. Januar 2007 annähernd 20
Monate gedauert hat. Das ist sehr ungewöhnlich. Diese
Verzögerung fällt
in die Verantwortung des Landgerichts Dessau, das es für notwendig
erachtet hat, im sogenannten Zwischenverfahren immer wieder weitere
Beweiserhebungen anzuordnen. Nach unserer Auffassung war das nicht
erforderlich. Über die Ursachen läßt sich nur
spekulieren. Eine
naheliegende Vermutung ist es, daß das Landgericht Dessau das
Verfahren
verschleppt hat, um die Entscheidung zur Zulassung der Anklage zu
vermeiden und möglicherweise die Eröffnung des
Hauptverfahrens ablehnen
zu können.
Auch in Dortmund hat es gerade einen Fall gegeben,
wo ein
Schwarzer von der Polizei erschossen wurde und die Ermittlungen sehr
schnell eingestellt wurden. Was kann man tun, um in solchen Fällen
das
Schweigen zu durchbrechen und Nachforschungen zu erzwingen?
In unserem Fall hoffen wir, daß die Hauptverhandlung von der
Öffentlichkeit sehr aufmerksam beobachtet und begleitet wird. Eine
solche Aufmerksamkeit hilft, daß derartige Fälle nicht mit
dem Mantel
des Schweigens verhüllt werden können. Deshalb ist es
notwendig, daß
nicht nur Juristen eingreifen, sondern zum Beispiel Flüchtlings-
und
antirassistische Gruppen. Es ist ausgesprochen selten, daß
Polizeibeamte angeklagt werden. Noch seltener ist es, daß es zu
Verurteilungen kommt. Daher sehe ich in dem Verfahren im Zusammenhang
mit dem Tod von Oury Jalloh eine Chance, daß es in Zukunft
häufiger
gelingen kann, Polizeigewalt, insbesondere gegen Flüchtlinge,
justitiabel zu machen.
Interview: Wera Richter
Sonntag, 7. Januar: Demonstrationen
im Gedenken an Oury Jalloh in Berlin (13 Uhr, Hackescher Markt) und
Dessau (13 Uhr, Hauptbahnhof)