TRAURIGE STATISTIK
Rechtsextreme Straftaten auf
Höchststand
Von
Philipp Wittrock
Deutschland
droht bei der rechtsextremen
Kriminalität ein trauriger Rekord: Bis Ende November 2006
registrierte
die Polizei bundesweit mehr als 11.000 Straftaten. Damit zeichnet
sich
der höchste Stand seit fünf Jahren ab.
Hamburg - Die Anfrage ist
Routine, die Antwort inzwischen leider
auch: Monat für Monat lässt sich die Bundestagsfraktion der
Linkspartei
von der Bundesregierung die neuesten Zahlen zur rechtsextremen
Kriminalität in Deutschland übermitteln. Und Monat für
Monat addieren
sich die Zahlen zu einer immer dunkelbrauneren Statistik. Bis Ende
November 2006 registrierte die Polizei bundesweit bereits 11.252
rechtsextremistisch motivierte Straftaten, darunter 657 Gewalttaten.
Deutschland steuert damit auf den höchsten Stand bei den
rechtsextremen
Delikten seit fünf Jahren zu. 2001 war ein neues System zur
Erfassung
dieser Straftaten eingeführt worden.
DPA
Skinhead bei einem NPD-Aufmarsch in Rostock: Wenig
beeindruckt
Das Bundesinnenministerium
weist darauf hin, dass es sich bislang nur
um vorläufige Zahlen handelt. Erfahrungsgemäß
müssen diese bis zur
Veröffentlichung der abschließenden Statistik im Mai dieses
Jahres noch
deutlich nach oben korrigiert werden, weil die Polizei in der Regel
etliche Taten nachmeldet.
So meldete das
Bundeskriminalamt für 2005 laut
Verfassungsschutzbericht 15.361 rechtsextremistisch motivierte
Straftaten, der weitaus größte Teil davon Propagandadelikte.
Die
vorläufige Bilanz zum Jahresende hatte jedoch seinerzeit
zunächst nur
rund 10.271 Straftaten aufgeführt. Da diese Zahl nun schon in den
ersten elf Monaten des vergangenen Jahres weit übertroffen wurde,
muss
für 2006 mit einem traurigen statistischen Rekord gerechnet werden.
Aus der Antwort auf die
Linksfraktion-Anfrage für den November 2006
geht hervor, dass in jenem Monat insgesamt 1100 Straftaten gemeldet
wurden, mehr waren es nur im Mai, Juni und Oktober. Die Polizei
registrierte 64 Gewalttaten, bei denen 45 Personen verletzt wurden.
Die Zunahme bei der
rechtsextremen Kriminalität ist ein bundesweites
Problem. Im Westen berichteten heute Schleswig-Holstein und Hamburg
über eine zum Teil deutliche Zunahme rechter Straftaten. Das
Landeskriminalamt in Kiel und die Innenbehörde in Hamburg nannten
Steigerungsraten von rund einem Drittel.
An der Spitze der Statistik
lagen 2005 bei der Zahl der Straftaten
bezogen auf die Bevölkerung allerdings vier ostdeutsche
Bundesländer.
In Sachsen-Anhalt kamen 4,29 Delikte auf 100.000 Einwohner, 3,78 waren
es in Brandenburg, dahinter folgten Thüringen und Sachsen.
SS-Runen am Jüdischen
Friedhof
An dieser Reihenfolge wird
sich vermutlich auch diesmal nicht viel
ändern. Zwar registrierte Brandenburgs Innenminister Jörg
Schönbohm
(CDU) zuletzt ein "ermutigendes Signal" - in dem Land wurden - gegen
den Bundestrend - weniger Fälle rechtsextremer Gewalt registriert.
Die
Gesamtzahl der Straftaten blieb jedoch auf konstant hohem Niveau. Erst
gestern hatten Unbekannte die Mauern des Jüdischen Friedhofs und
ein
Euthanasiedenkmal in Brandenburg an der Havel großflächig
mit
Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert.
Der Berliner
Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte im Dezember
erklärt, dass sich die Zahl der von Rechtsradikalen verübten
Gewalttaten in der Hauptstadt innerhalb eines Jahres verdoppelt habe.
Habe es 2005 noch 52 Gewaltdelikte gegeben, würden es 2006 mehr
als
hundert sein. Sachsen geht dagegen von einem Rückgang aus. Der
Trend
des ersten Halbjahres, in dem im Vergleich zum Vorjahr 17 Prozent
weniger Straftaten verzeichnet wurden, habe sich fortgesetzt,
hieß es
beim Landeskriminalamt in Dresden.
Sachsen-Anhalt wird seine
traurige Spitzenposition wohl auch im
vergangenen Jahr verteidigt, wenn nicht gar ausgebaut haben. Bereits
bis Ende Oktober verzeichnete das Innenministerium 1001
rechtsextremistisch motivierte Straftaten, das sind fast 22 Prozent
mehr als im gleichen Zeitraum 2005 (821). Noch deutlicher stieg die
Zahl der Gewalttaten, von 73 auf 92, was einer Steigerung von 26
Prozent entspricht.
"Parallelgesellschaften" in
Sachsen-Anhalt
Für besonderes Aufsehen
sorgten in Sachsen-Anhalt Übergriffe in
Pömmelte und Pretzien im Landkreis Schönebeck und in Parey im
Jerichower Land. Im Januar 2006 quälten Rassisten in Pömmelte
einen
zwölfjährigen, dunkelhäutigen Jungen. Im Dorf Pretzien
verbrannten
junge Neonazis im Juni bei einer sogenannten Sonnenwendfeier erst eine
US-Flagge und anschließend eine Ausgabe des Tagebuchs der Anne
Frank.
Und in Parey schickten im Oktober Jugendliche einen 16-jährigen
Mitschüler mit einem Schild um den Hals auf den Schulhof mit der
Aufschrift "Ich bin im Ort das größte Schwein, ich lass mich
nur mit
Juden ein" - ganz nach Vorbild der Nationalsozialisten.
Nach dem Vorfall von Parey
warnte Sachsen-Anhalts Innenminister
Holger Hövelmann (SPD) im Interview mit SPIEGEL ONLINE
vor rechtsextremen "Parallelgesellschaften", die sich in seinem Land
stellenweise herausgebildet hätten. Ministerpräsident
Wolfgang Böhmer
(CDU) hatte die rechtsradikale Gewalt im Land lange als Handlungen
weniger, isolierter Fehlgeleiteter abgetan. Inzwischen hat die
Landesregierung unter dem Motto "Hingucken - Für ein
demokratisches und
tolerantes Sachsen-Anhalt" ein Aktionsprogramm aufgelegt, um dem
Vormarsch der Rechten entgegenzutreten.
Wie wenig beeindruckt sich die
extreme Rechte davon allerdings
bislang zeigt, mussten jüngst die entsetzten Besucher eines
Benefizkonzerts im Rahmen der Kampagne feststellen. Auch ein brauner
Trupp, darunter Vertreter der Jugendorganisation der NPD, hatte sich
unters Publikum gemischt, provozierte mit Parolen und warf
Flugblätter
- mitten in der Magdeburger Staatskanzlei.
Bundesinnenminister Wolfgang
Schäuble (CDU) sieht seine Partei in
der Pflicht. Er erhoffe sich insbesondere für die neuen
Länder eine
größere Integrationskraft der Union gegenüber dem
rechten Rand, sagte
er der "Leipziger Volkszeitung". Er betonte, es sei "ein besonderes
parteipolitisches Problem für die Union, wenn eine rechtsextreme
Partei
bei Wahlen erfolgreich ist".
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